Presse

2024-04-17

Hinweise zur Sendung SWR Story „Viele Normen – Teure Wohnungen“ vom 16. April 2024

Zwei Personen mit Schutzhelm und gelber Warnweste schauen hinauf zu einem Baukrahn
© AdobeStock: eric

Die Sendung SWR Story vom 16.04.2024 beschäftigt sich unter dem Titel „Viele Normen - Teure Wohnungen? - Vom Bürokratiewahnsinn im Wohnungsbau“ mit der Normung im Baubereich. Leider trägt die Sendung mit teils sehr tendenziösen, einseitigen und irreführenden Aussagen nicht substanziell zu der wichtigen Diskussion um steigende Kosten im Wohnungsbau bei. An vielen Stellen zeugt der Beitrag vielmehr von einer mangelhaften Auseinandersetzung mit der zugrundeliegenden Thematik.

DIN nimmt die Kritik dennoch ernst und hinterfragt stets seine Strukturen und Abläufe. Um jedoch zu einer differenzierteren Auseinandersetzung mit diesem gesellschaftlich hoch relevanten Thema zu kommen, möchten wir im Folgenden einige Informationen zu den dargestellten Inhalten ergänzen bzw. richtigstellen:

Ausgewogenheit bei der Besetzung der Ausschüsse

Wie in der Sendung dargestellt, werden Normen von Expertinnen und Experten aus den interessierten Kreisen Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlicher Hand und Zivilgesellschaft gemeinsam erarbeitet. In dem Beitrag wird DIN eine fehlende Ausgewogenheit bei der Besetzung der Ausschüsse und ein zu großer Einfluss der Wirtschaft vorgeworfen; vermeintliche Belege sollen dieses Ergebnis stützen. Hierbei gilt:   

Ausgewogenheit bei der Besetzung von Normenausschüssen im Sinne der breit anerkannten Normungsgrundsätze ist nicht gleichbedeutend mit einer prozentual gleichmäßigen Verteilung der Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, öffentliche Hand und Zivilgesellschaft.

Richtig ist, dass alle von der Anwendung einer Norm betroffenen Kreise ihre Expertise in die Normung einbringen können und damit für Relevanz und Anwendbarkeit einer Norm sorgen. Ein weiteres Kriterium für die Besetzung ist die notwendige technische Expertise für die oftmals komplexen Fragestellungen in der Normung.

Darüber hinaus gilt: Die Entscheidungsfindung in der Normung findet in der Regel im Konsens statt. Die reine Anzahl der Expertinnen und Experten der verschiedenen interessierten Kreise in den Normungsgremien hat für sich genommen keine Aussagekraft, da sie nicht ausschlaggebend für die Entscheidungsfindung ist.

Die Grundsätze der Normung sind in DIN 820 öffentlich frei verfügbar und Ergebnis eines Normungsprozesses unter Einbeziehung aller interessierten Kreise.

Von herausgehobener Bedeutung für das Verständnis der im Beitrag kritisierten Ausgewogenheit bei der Besetzung der Ausschüsse ist, dass es „die Wirtschaft“ nicht gibt, die als ein einzelner Akteur Einfluss auf die Normung nimmt. Zur Verdeutlichung: Im Baubereich umfasst der interessierte Kreis „Wirtschaft“ die komplette bauwirtschaftliche Wertschöpfungskette und angrenzende Wirtschaftsbereiche. Dazu zählen Planer, Architekten, Ingenieure, Handwerker, Hersteller verschiedenster Bauprodukte und Baustoffe, Verbände, Dienstleister, Handel, Banken, Versicherungen, Zulieferer, Rohmateriallieferanten, weiterverarbeitende Unternehmen, Sachversicherer, Weiterbildungsorganisationen bis hin zu Betreibern und Immobilienunternehmen.

Aufgrund der Bandbreite an Akteuren, die zudem äußerst heterogene Interessen haben, kann wohl kaum von einem gleichgerichteten Interesse der Wirtschaft als einem Akteur gesprochen werden. Logisch und nachvollziehbar ist vielmehr, dass „die Wirtschaft“ auch die Mehrzahl der Expertinnen und Experten stellt. Eine Dominanz einzelner Vertreter im Bereich „Wirtschaft“ ist in den Ausschüssen von DIN hingegen nicht gegeben.

In der Wertschöpfungskette im Baubereich besteht vor allem dort ein Bedarf an Normung, wo Schnittstellen zwischen einzelnen Beteiligten geregelt werden, d. h. zwischen Immobilienentwicklern und Planern, Planern und Bauunternehmen, Bauunternehmen und Produktherstellern und zwischen Produktherstellern und Zulieferern. Die vielfältigen Interessen der einzelnen Parteien werden flankiert von den Interessen der Wissenschaft, der öffentlichen Hand und der Zivilgesellschaft.

Ausgewogenheit bei der Gremienbesetzung bedeutet bei Normungsthemen insbesondere, dass die unterschiedlichen Perspektiven innerhalb des interessierten Kreises Wirtschaft vertreten sind. Im Umkehrschluss ist daher die Behauptung, dass die Wirtschaft einen zu starken Einfluss in der Normung nimmt, nicht haltbar. Insofern ist auch der in der Sendung herausgearbeitete vermeintliche Widerspruch zwischen dem Anspruch von DIN zur Ausgewogenheit und den tatsächlichen realen Verhältnissen nicht existent.

Der Normungsprozess lebt von aktiver Beteiligung, um alle Interessen angemessen zu berücksichtigen. Die kritischen Sichtweisen in der Sendung gehen zumindest teilweise von Interessengruppen aus, die sich am Normungsprozess selbst nicht beteiligen wollen, da sie nach eigener Aussage ihre neutrale und unabhängige Stellung nicht aufgeben wollen. Dies zeugt von einem falschen Verständnis der Normungsarbeit: Kritik zu üben, ohne selbst aktiv mitgewirkt zu haben, ist vermutlich ein einfacher, aber mit Sicherheit kein konstruktiver, lösungsorientierter Weg.

Der Normungsprozess sieht vor, dass die Expertinnen und Experten in den Arbeitsausschüssen einen Norm-Entwurf vorbereiten. Dieser wird anschließend veröffentlicht und kann dann von der breiten Öffentlichkeit kommentiert werden. So wird sichergestellt, dass auch im Nachgang der eigentlichen Ausschussarbeit alle Interessen gehört werden und sich auch all diejenigen einbringen können, die nicht unmittelbar an der Norm-Entwurfserstellung eines Ausschuss beteiligt waren.

Die Kritik von Vertreter*innen der Wohnungswirtschaft, der nach ihrer Auffassung nicht ordnungsgemäß zusammengesetzten Gremien im DIN-Normenausschuss Bauwesen (NABau) haben wir bereits zum Anlass genommen, die Zusammensetzung zu überprüfen. Wesentliche Mängel konnten wir dabei nicht feststellen. Die Ergebnisse haben wir im Sonderpräsidialausschuss Bauwerke, der wiederum mit allen wesentlichen interessierten Kreisen besetzt ist, vorgestellt. Aus den Ergebnissen der Analyse wurden Maßnahmen zur weiteren Verbesserung abgeleitet.

Transparenz zur Besetzung der Ausschüsse

Die Frage der Transparenz nehmen wir bei DIN sehr ernst. Gemeinsam mit unseren Stakeholdern diskutieren wir laufend, wie wir dem Wunsch nach mehr Transparenz nachkommen können. Erklärtes Ziel ist es, zusätzlichen hohen bürokratischen Aufwand zu vermeiden, den Grundsatz der Freiwilligkeit zu wahren sowie die Einhaltung aller geltenden Regularien auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene zu gewährleisten.

In der Sendung wird mehrfach explizit die Behauptung aufgestellt, dass die Zusammensetzung der Ausschüsse nach interessierten Kreisen ein Geheimnis sei und es hierüber keinerlei Transparenz gäbe. Nicht erwähnt wird jedoch, dass die Zusammensetzung auf Ebene der Normenausschüsse auf der DIN-Website transparent dargestellt wird und dort für jedermann einsehbar ist. Der Anteil der Wirtschaft ist daher – anders als in der Sendung behauptet – weder geheim noch überraschend. Denn: Normung ist Selbstverwaltungsaufgabe der Wirtschaft, so dass diese Gruppe auch den größten Anteil bei der Erarbeitung von Normen hat.

Zudem wird in der Sendung versucht den Eindruck zu vermitteln, DIN würde mittels Geheimhaltungsvereinbarungen Intransparenz schaffen. Richtig ist, dass jede Expertin und jeder Experte frei ist über seine Mitwirkung in Normungsgremien und den dortigen Strukturen, Abläufen und Verfahren zu berichten. Von einer solchen Öffentlichkeit lebt die Normung, denn nur so können auch normungsfremde Menschen für die Normungsarbeit begeistert werden.

Richtig ist zudem, dass Vereinbarungen mit den Expertinnen und Experten sicherstellen, dass diese im Rahmen eines laufenden aktiven Normungsverfahrens nicht extern beeinflusst werden. Dies ist daher kein „Zeugenschutzprogramm“, wie in der Sendung behauptet, sondern dient der vollständigen inhaltlichen Konzentration auf die Normungsarbeit.

Expertinnen und Experten haben einen Anspruch darauf, nicht öffentlich und persönlich benannt zu werden. Jegliche Interessen können bei entsprechender fachlicher Eignung entweder durch eigene Mitwirkung im Normungsprozess oder nachgelagert im Rahmen der öffentlichen Beteiligung eingebracht werden. Ein Wunsch nach Geheimhaltung durch DIN ist daher nicht haltbar. Expertinnen und Experten steht es frei, nach Abschluss von Normungsverfahren von ihrer Arbeit zu berichten.

Finanzierung

Der Vorwurf, große Unternehmen könnten sich bei DIN „einkaufen“ ist falsch. Richtig ist: Die Finanzierung des effizienten, privatwirtschaftlich organisierten Normungssystems erfolgt vorrangig über den Verkauf von Normen, d. h. die Anwendung der Norm stellt die Finanzierung ihrer Erarbeitung sicher.

Darüber hinaus fallen niederschwellige Kostenbeiträge für mitwirkende Expertinnen und Experten an, die die seitens DIN bereitgestellte Infrastruktur (z. B. Sitzungs- und Tagungsräume) für Ausschusssitzungen nutzen können. Für diese Kostenbeiträge gibt es insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen eine finanzielle Unterstützung durch DIN bzw. über Förderprogramme wie z. B. WIPANO.

Ferner ist explizit vorgesehen, dass die Verbraucherinteressen, deren Stimme anderenfalls nicht gehört werden könnte, institutionell durch den eigens dafür eingerichteten und unabhängig agierenden Verbraucherrat in den Normungsprozess eingebracht werden.

Kleine Unternehmen lassen sich in der Regel durch ihre Verbände in der Normung vertreten. Dafür geschaffene besondere Finanzierungsstrukturen bei DIN setzen unmittelbare Anreize für die Mitarbeit von Verbänden bzw. deren Mitgliedern, um Interessen zu bündeln und in die Normung einzubringen. 

Steigende Anforderungen in Normen: Die Anforderungen an das Bauen hinsichtlich Sicherheit, Barrierefreiheit und Klimaschutz durch den Gesetzgeber in Form neuer Gesetze und Verordnungen steigen. Zudem werden Bauvorhaben immer komplexer und spiegeln häufig gesellschaftliche Erwartungen an attraktiven Wohnraum wider. Dieser Wandel schlägt sich auch in Normen und Standards nieder.

Wenngleich DIN die Herausforderungen für bezahlbaren Wohnraum sieht und entsprechende Aktivitäten wie den Gebäudetyp E oder die Unterscheidung von Mindestanforderungen und weitergehenden Anforderungen aktiv unterstützt, ist es entgegen den Darstellungen in der Sendung nicht das Ziel Baunormen zu entwickeln, die das Bauen besonders kostengünstig machen. Vielmehr stellen Normen den Stand der Technik dar, der Weiterentwicklung und Innovation erlaubt und damit nachhaltig zu unserem Wohlstand beiträgt.

Normen sind Empfehlungen, wie gesetzliche oder gesellschaftliche Anforderungen an Wohnraum umgesetzt werden können, jedoch nicht müssen. Normen sind in ihrer Anwendung freiwillig. Initiativen wie von dem in der Sendung interviewten Bauunternehmen Eitel sind daher zu begrüßen – bestenfalls gelangen die gewonnenen Erkenntnisse in den weiteren Normungsprozess.

Um die unterschiedlichen Anforderungen z. B. an Klimaschutz, Sicherheit, Verbraucherschutz und Wirtschaftlichkeit gegebenenfalls neu zu gewichten und damit Baukosten senken zu können, bedarf es eines breiten gesellschaftlichen und politischen Diskurses. Dies kann in einigen Bereichen wirksame Kostenreduzierungen ermöglichen, muss aber aktiv von den an der Normung beteiligten Akteure vorangetrieben werden.

Rolle von DIN

DIN koordiniert den Normungsprozess als Projektmanager. Die Initiative für die Er- und Überarbeitung von Normen geht immer von den interessierten Kreisen aus. DIN nimmt dabei keinen Einfluss auf die Inhalte der Normen. Das heißt: Baunormen können durch die interessierten Kreise selbstverständlich angepasst oder auch zurückgezogen werden, wenn dafür ein konkreter Bedarf vorhanden ist. Und Normung lebt vom Mitmachen: Alle Interessierten sind herzlich eingeladen sich in der Normung zu engagieren und die Inhalte von Normen gemeinsam zu gestalten: Durch ihre Mitwirkung leisten sie einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag.  

Normen als Kostensenker

Die SWR-Sendung stellt die Normung ausschließlich als Kostentreiber dar. Das Gegenteil ist richtig: Wer gezielt Normen und Standards anwendet, spart Kosten. Normen dienen der Rationalisierung und erleichtern durch die Festlegung gemeinsamer Regeln die Planung und Bauausführung.

Während viele der gesetzlichen Anforderungen im Bauwesen föderal geregelt sind und sich teilweise erheblich zwischen den sechszehn Bundesländern unterscheiden, reduzieren die nationalen und vielfach auch europäischen Normen die Komplexität im Bauwesen.

Der Gesetzgeber hat es schon von jeher in der Hand, Normen gesetzlich in Bezug zu nehmen oder nicht. Dieser Aufgabe ist er in der Vergangenheit nur in ungenügendem Maße nachgekommen. Der Beitrag des SWR thematisiert die verschiedenen bundeslandspezifischen Regelungen, die das Bauen kompliziert und teuer machen, leider an keiner Stelle. Die Politik sollte insbesondere an diesem Punkt ansetzen, um Regelungen zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Normen bieten dazu die beste Basis.

Ergänzend finden Sie hier eine Einschätzung des Sonderpräsidialausschusses Bauwerke bei DIN (SPB) zum Thema Baukosten. Im SPB sind hochrangige Vertreter*innen der relevanten Akteure des Bauwesens wie Bund, Länder, Kommunen, Kammern, Wissenschaft, Wirtschaft und Verbraucher vertreten.

Weitere Informationen zum Thema erhalten Sie im FAQ des Normenausschuss Bauwesen.

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DIN e. V.
Pressesprecher
Julian Pinnig

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