Aus der Normungspraxis: NormConsultingBlumenthal, Bad Vilbel (Hessen)

Interview mit Dipl.-Ing. Elfira Blumenthal, Autorin für Normen, Normung und Technisches Regelwerk

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Elfira Blumenthal
© Privat Blumenthal

Weil Normen und Normung eine Lebensaufgabe sind: Nach 40 Jahren in der Industrie gibt Elfira Blumenthal ihre Expertise nun als freiberufliche Autorin im NormConsulting weiter.

„Das DIN-Netzwerk ist die perfekte Oberfläche für den fachlichen, praxisorientierten Austausch – besonders begeistert mich die tolle Zusammenarbeit mit Kolleg*innen aus den unterschiedlichsten Industrie-Branchen und den DIN-Gremienbetreuer*innen in den einzelnen DIN-Arbeitsgremien.“
     
                                                                   Elfira Blumenthal

Das Interview

Warum und seit wann sind Sie in der Normung aktiv und welche Rolle spielt die DIN-Mitgliedschaft dabei? 
Die Normung ist mein Herzensthema. Als ich 1980 mein Maschinenbaustudium abgeschlossen hatte, arbeitete ich für die Hoechst AG in der Anlagenplanung und einige Jahre als Betriebsingenieurin. Ich bin 1982 für Hoechst in die Gremienarbeit bei DIN eingestiegen und übernahm schon bald die Fachgruppenleitung Normung. 2005 erfolgte ein Firmenwechsel, bedingt durch Umstrukturierung, zur Siemens AG. Seither wirke ich für die Prozess-Industrie sowie für Industrie-Verbände in vielfältigen Positionen bei DIN mit. Darüber hinaus auch als Vorstandsmitglied bei der Interessengemeinschaft Regelwerke Technik (IGR e.V.) für die Kompetenzcenterleitung Mechanik+Verfahrenstechnik sowie in Arbeitsgremien der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und Chemische Industrie (BGRCI). Der neueste Schritt ab Januar 2024 wird meine DIN-Mitgliedschaft als Solo-Selbstständige Person sein. Von da an bin ich freiberufliche Autorin und mit NormConsultingBlumenthal verfügbar.

In welchen Normungsgremien arbeiten Sie mit? 
Neben dem DIN-Normenausschuss NA 012-00-01 AA Anlagenteile (FNCA), bei dem ich den Vorsitz inne habe, engagiere ich mich im Beirat des DIN NA 012 BR, Chemischer Apparatebau (FNCA) und ich arbeite im DIN Ausschuss Normenpraxis (ANP) der Regionalgruppen Frankfurt und Nürnberg sowie der Sektorgruppe Chemie mit. Auch sind mir innovative und praxisnahe Lösungen für den Alltag sehr wichtig. Deshalb habe ich mich 2020 am VDE/DIN-Connect-Wettbewerb „VDE SPEC 90005 - Staubbeutel mit Halteplatte für Staubsauger, Bezeichnungen, Maße, Größen und Gebrauchstauglichkeit“ beteiligt. Das Projekt wurde dann auch gefördert. Aktuell habe ich an gleicher Stelle für 2023/2024 das Projekt „Einfache Technische Sprache“ eingereicht.

Was ist Ihnen bei der Normungsarbeit besonders wichtig?
Präsenz und Expertise sehe ich ganz vorn. In den Arbeitskreisen sollten für die Entwicklung neuer Normen mindestens sechs bis sieben Personen vertreten sein. Darunter wird es inhaltlich wie organisatorisch schwierig, denn es fehlt der fachlich kompetente und differenzierte Austausch. Da fällt mir, nur als ein Beispiel, das Thema intelligente Rohrleitungen (neudeutsch: Smart-Pipe-Systems) ein. Rohrleitungen sind in der Prozessindustrie als verbindende Elemente von Apparaten und Komponenten nicht wegzudenken. Hier müssen gewerkeübergreifend die unterschiedlichsten Branchen und Fachleute an einen Tisch gebracht werden. Auch hier macht sich ein System- und Generationswechsel, sprich Fachkräftemangel, signifikant bemerkbar.

Welche Normungsthemen rücken durch Klimawandel, Nachhaltigkeit und Transformation für Ihr Unternehmen in den Vordergrund?
Für mich stellt sich die Frage, wie nachhaltig Normen derzeit bereits sind. Das sollten sie nämlich sein, damit Produkte über den gesamten Lebenszyklus auch normtechnisch begleitet und am Ende sachgerecht nach Werkstoffen getrennt im besten Falle wiederverwertet werden können. Denken wir z.B. an Verpackungen, die i.d.R. aus den unterschiedlichsten Werkstoffen bestehen. Das ist es ganz klar Aufgabe der Circular Economy und der Normen, dies nachhaltig zu unterstützen.
Ein Feld signifikanter Ressourcen-Schonung ist auch die KI-Tauglichkeit und Aufbereitung von neuen und ja auch bestehenden Normen. Ein Beispiel, das uns schon Jahre umtreibt, sind mögliche Export-Schnittstellen in Normen, um z.B. Tabellenwerte in marktgängige Systeme einzulesen. Leider werden (müssen) umfangreiche Tabellenwerte derzeit aus Normen oft noch per Hand übertragen. Deshalb arbeitet DIN derzeit ja auch gemeinsam mit ISO und CEN an KI-tauglichen Lösungen – ganz im Sinn der Nachhaltigkeit.

Haben Sie speziell dazu schon konkreten Bedarf an Normen festgestellt?
Auf jeden Fall, und da geht’s auch um Nachhaltigkeit. Vorhin hatte ich die „VDE SPEC 90005“ über Staubsaugerbeutel erwähnt – ein plakatives Beispiel. Wir alle kennen das Problem der Unschlüssigkeit im Baumarkt oder Kaufhaus, wenn wir vor einer unüberschaubaren Wand von unterschiedlichsten Staubeuteltypen, Formen und Größen stehen, die auch noch nach Staubsaugerfirmen unterteilt sind. Hier hat VDE SPEC 90005 es geschafft, Hersteller von Staubsaugern, Staubbeutel und Verbraucher an einen Tisch zu bringen. 90% der marktgängigen Staubbeutel sind nun in dieser Norm vereint. Dort sind NUR zwei Formen der Anschluss-Halteplatte, und drei Nennvolumina mit dazu gehörenden Maßen der Flachbreitenausführung festgelegt. Das Hersteller Know How des verwendeten Materials und deren Qualität obliegt dem Hersteller. Patente werden davon nicht berührt.
Dieses Prinzip ließe sich leicht auch auf die Einbaumaße und die Anschlussflächen (Strom-Konnektoren) von Fahrrad- und Auto-Akkus sowie akkubetriebene Heimwerkergeräte übertragen. Einige namhafte werkzeugherstellende Firmen haben das für ihre Akkus bereits umgesetzt. Allerdings hier i.d.R. auch nur firmenspezifisch. Auch hier muss der Ansatz neu überdacht werden UND der Wille da sein, diese Produkte nachhaltig im Markt zu platzieren.

Welchen Einfluss haben Normen auf die Lieferketten von Unternehmen? 
Ich denke, das ist ein großes Thema. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gibt deutschen Unternehmen ja deutlich mehr Verantwortung für die gesamte Wertschöpfungskette ihrer Produkte. Davon hängt auch ihre Wettbewerbsfähigkeit ab. Ich bin davon überzeugt, dass Normen auch diese Prozesse zukunftsfähig und nachhaltig unterstützen werden.

Welche Zukunftsthemen kommen auf Ihre Branche zu und wie können Normen dabei helfen?
Europa ist meines Erachtens der Schlüssel zur Stabilität auch der deutschen Wirtschaft. Deshalb müssen wir in Europa eng zusammenarbeiten. Engstirnigkeit, Landgrafentum und Populismus können nicht die Lösung sein! Wir brauchen dazu natürlich auch unsere europäischen harmonisierten Normen. Da denke ich natürlich gerade an die novellierte europäische Maschinenverordnung oder die darauf aufbauenden Verordnungen zur Gerätesicherheit. Auch energiepolitisch brauchen wir in Europa den politisch abgestimmten Austausch. Nur so können wir einer allseits befürchteten De-Industrialisierung zukunftsgerichtet begegnen. Wir sollten uns da nicht demoralisieren lassen.

Konnten Sie selbst schon Normen auf den Weg bringen?
Oh ja, inzwischen sind es über die Jahre sicher um die 150 Normen und Technische Regelwerke. Natürlich habe ich da auch so einige Lieblingsnormen. Dazu gehören zwei, die beim DIN-Preis „Nutzen der Normung“ den 1. Platz belegt haben. Das ist einmal in 2016 die DIN 2626 - Rohrsperrscheiben für Rohrleitungssysteme und in 2014 die DIN 28033 - Apparateflansche für Behälter und Apparate.
Ein großes Anliegen ist mir auch die allgemein gute Verständlichkeit von Texten in Regelwerken. Normen werden i.d.R von Fachleuten für Fachleute geschrieben. Meines Ermessens haben wir hier Handlungsbedarf, auch in Hinblick auf in der Praxis umzusetzende Dokumente, selbstverständlich auch als KI-verarbeitbare Dokumente. Eine gute Basis legt gerade die neue DIN 8581-1 - Einfache Sprache. Aktuell läuft dazu auch meine Konkretisierung über einen DIN-Connect Projektvorschlag 2023/2024. Der Projekttitel lautet: „Einfache technische Sprache in Normen, Standards und technischem Regelwerk“.

Welche Vorteile haben Unternehmen bzw. Produkte dadurch am Markt?
Normgerechte Produkte stehen für Sicherheit, Zuverlässigkeit, Qualität und Nachhaltigkeit sowie für Verfügbarkeit, Resilienz und Austauschbarkeit. Die Gremienarbeit bei DIN ist ganz nah dran an den technischen Innovationen, Entwicklungen und nimmt selbst Einfluss darauf. So gesehen arbeiten die Fachleute in den Gremien aktiv am Erfolg auch des eigenen Unternehmens. Wer sich an der Normung nicht aktiv beteiligt, darf sich nicht beschweren, seine Produkte nicht am Markt platzieren zu können oder notwendigerweise dort praxisgerechte Produkte erwerben zu können.

Welche konkreten Ziele verfolgen Sie persönlich mit der Normungsarbeit bei DIN, CEN oder ISO?
Ich unterstütze sehr gerne die Arbeiten, Projekte und Innovationen von DIN. Die Arbeit in der Normung und an den Normen sollte in Deutschland auch für den Mittelstand, Schulabsolventen und selbstverständlich für Industrie und Handwerk wieder an Bedeutung gewinnen. Mir geht es vor allem um praxisorientierte Lösungen. Ein großes Netzwerk, auch international, treibt mich hier immer wieder an. Mit dem Engagement in DIN-Arbeitskreisen und deren Internationalen Spiegelgremien ist eine gute Basis gelegt. Deshalb halte ich die Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten und den persönlichen Austausch zu unterschiedlichen Themenfeldern für sehr wichtig. Das Netzwerken und die Pflege der Kontakte bringen gute Ideen zum Laufen und Innovationen zum Wachsen. Und das Ganze macht mir auch einfach viel Spaß, bis hin zu den Freundschaften, die im Lauf der Zeit entstanden sind. Dank(e) DIN.

Welche Vorteile haben Sie durch Ihr Engagement im DIN Arbeitsausschuss Normenpraxis (ANP), dem Netzwerk der Normenanwender*innen?
Aus meiner langjährigen Praxis weiß ich, wie komplex, aber oft auch wenig vernetzt die Gremienarbeit sein kann. Das führt zu Doppelarbeiten, die sich nach meiner Ansicht vermeiden lassen könnten. Ich empfehle mehr Kooperation, wie z.B. über den Verband der Chemischen Industrie, (VCI) den Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) oder die Interessengemeinschaft Regelwerke Technik (IGRe.V.). Wie bei DIN tauschen sich auch hier die Expertinnen und Experten aus Industrieunternehmen inhaltlich aus und nutzen die DIN-Normung und Standardisierung als Schnittstelle zum eigenen Regelwerk. Oft hilft dazu auch, das „Käseglocken-Modell“ um Themenfelder einzufangen oder abzugrenzen. Diese Vorgehensweise spart enorm viele Ressourcen. Ach ja „Und verliebe dich nie in (d)eine Norm!“ Ein Blick über den Tellerrand eröffnet oft ungeahnte Möglichkeiten.

An welchen Netzwerkveranstaltungen nehmen Sie teil – was vermissen Sie bei DIN?
An DIN-Mitgliederversammlungen nehme ich immer teil. Wichtig sind mir auch die Treffen der Vorsitzenden der DIN-Normenbeiräte – diese sehe ich als das Maschinenhaus in der Normung. Auch bei den DIN-Pitch-Veranstaltungen bin ich regelmäßig dabei. Dort stellen sich Normungsgremien mit ihren Themen und Inhalten vor. Ein Team arbeitet z.B. daran, Bestands-Normen z.B. mit Beschaffenheitsanforderungen KI-tauglich (neudeutsch: Smart) zu überarbeiten. Das finde ich spannend.
Wie bereits erwähnt, werden Normen von Fachleuten für Fachleute geschrieben. Diese erschließen sich nicht immer ganz einfach noch-themenfremden Personen, Nicht-Fachleuten oder neuen Fachleuten in einem Themenfeld. Klare Struktur, kurze Sätze, inhaltliche Transparenz schaffen bessere Verständlichkeit. Hier kann eine „Einfache technische Sprache“ Klarheit schaffen, KI in neue Bahnen lenken und nachhaltig Ressourcen schonen.

Welchen Tipp geben Sie Unternehmen, die in der Normung aktiv werden wollen?
Stellen Sie bitte die Ressource Mitarbeitende und ein Budget bereit. Die praxisgerechte Normung relevanter Themen gibt es nicht umsonst. Ja, das kostet Zeit und Geld, entweder intern über eigene Spezifikationen oder besser gleich eine Stufe höher für alle bei DIN. Darüber hinaus dient das Engagement in Normungsgremien der persönlichen Entwicklung und der Mitarbeiterqualifizierung. Konsens in der Normungsarbeit ist somit immer auch ein geübter demokratischer Prozess. Für Demokratie und Innovationen steht „Made in Germany“ – das ist gut so und soll so bleiben.

Ihr Kontakt

DIN e. V.
Mitgliederservice

E-Mail: inside@din.de
Tel: 030 2601-2020

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Staubbeutel mit Halteplatte für Staubsauger – Gebrauchstauglichkeit – VDE SPEC 90005 V1.0
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Branche: Unternehmensberatung
Status: Solo-Selbstständiges DIN-Mitglied
Mitarbeiterzahl: 1
Link: www.NormConsultingBlumenthal.de