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Schneller, agiler, digitaler: Harmonisierte Europäische Normen auf dem Prüfstand?
Überarbeitung der europäischen Normungsverordnung
© Eva Häberle
Das System zur Erarbeitung harmonisierter europäischer Normen wird auf den Prüfstand gestellt: Die EU-Kommission hat die europäische Normungsverordnung evaluiert und ihren Reformprozess angestoßen – mit dem Ziel, Normung schneller, agiler und digitaler zu machen. Katja Krüger, Leiterin Regierungsbeziehungen bei DIN, ordnet die Pläne ein.
EU-Normungssystem entscheidend für Wettbewerbsfähigkeit – mit Verbesserungsbedarf
Seit 13 Jahren ist die europäische Normungsverordnung in Kraft: Sie legt europaweit einheitlich fest, wie Normen in Ausführung von Rechtsakten entwickelt und anerkannt werden. Die EU-Kommission hat das europäische Normungssystem ("European Standardisation System", ESS) nun umfassend evaluiert und im Mai 2025 eine grundsätzlich positive Bilanz gezogen: Das System ist entscheidend für den Erfolg des Binnenmarktes und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union.
Gleichzeitig sieht die Kommission Verbesserungsbedarf. Schnelle Technologiezyklen, fortschreitende Digitalisierung und geopolitische Herausforderungen erfordern, dass Normung flexibler wird, um schneller auf neue Entwicklungen reagieren zu können. Und auch die europäischen Interessen und Werte sollen in der internationalen Normung stärker berücksichtigt werden.
Schneller, agiler und noch mehr Beteiligung – geht das?
Die Ziele der EU-Kommission sind wichtig, aber ambitioniert, denn eine breitere Stakeholder-Beteiligung aus ganz Europa und die Konsensfindung brauchen Zeit. Digitalisierung und Automatisierung können Prozesse zwar beschleunigen, doch die inhaltliche Qualität darf nicht darunter leiden. Sind die Ziele der EU-Kommission damit unerreichbar?
Nein. Aber der Weg dorthin muss lösungsoffen diskutiert werden.
Lösungsansätze der EU-Kommission
Die EU-Kommission zieht in Erwägung, zur Beschleunigung verstärkt auf Standards von außerhalb des europäischen Normenwerks zu setzen oder selbst technische Detailregulierung vorzunehmen – über sogenannte gemeinsame Spezifikationen („common specifications“). Dabei besteht allerdings das Risiko, dass diese Spezifikationen nicht den hohen Anforderungen entsprechen, die an europäische Normen gestellt werden. Zudem stellt sich die Frage: Wie kann die inhaltliche Abstimmung und Widerspruchsfreiheit zwischen Normen sichergestellt werden?
Die Lösung liegt im System
Die Lösung für eine flexiblere und schnellere Normung liegt innerhalb des bestehenden Systems. Europäische Normungsorganisationen (ESOs) verfügen über ein hohes Innovationspotenzial und sind bestens in der Lage, die regulatorischen Anforderungen der EU abzubilden.
Mögliche Lösungsansätze:
Die EU-Kommission könnte innerhalb von Normungsaufträgen priorisieren: Muss es besonders schnell gehen oder ist ein breiter Abstimmungsprozess wichtiger?
Für disruptive oder digitale Technologien könnten Instrumente wie Technische Spezifikationen (TS) oder Workshop Agreements (CWA) genutzt werden – beides sind bewährte Standardisierungsinstrumente.
Bestehende Konsortialstandards – also technische Standards, die im Zusammenschluss mehrerer Unternehmen entwickelt werden – könnten durch agile Prozesse in ESO-Dokumente überführt werden.
Welche Vorgehensweise für den jeweiligen Normungsauftrag die passende ist, sollte frühzeitig gemeinsam mit den ESOs festgelegt werden. Denn Verbesserungen im bestehenden Normungssystem zu verfolgen, bringt gleich zwei entscheidende Vorteile mit sich:
Kohärenz: Für jeden Regelungsgegenstand existiert nur ein passgenauer Standard im Gesamtgefüge des europäischen Normenwerks.
Internationale Anbindung: Über die nationalen Mitglieder der ESOs ist Europa an die internationalen Normungsorganisationen ISO und IEC angebunden – zentral für die globale Normungspräsenz und die geopolitischen Ziele der EU.
Ihre Meinung ist entscheidend für den Prozess
Aktuell läuft eine öffentliche Konsultation zu den Plänen der EU-Kommission. Bringen Sie also bis zum 17. Dezember 2025 ihre Kommentare auf der Website zur Revision der EU-Normungsverordnung ein und gestalten Sie die Zukunft der europäischen Normung mit.
Die Kommission wird voraussichtlich im Sommer 2026 einen Entwurf für die Neufassung der Verordnung vorlegen, der anschließend im Europäischen Parlament und Rat beraten wird.