Presse

2025-12-15

Normen sind die technische Infrastruktur der Modernisierung

Interview mit Sibylle Gabler zur Föderalen Modernisierungsagenda

Porträt Sibylle Gabler, Mitglieder der DIN-Geschäftsführung für den Bereich External Relations
Sibylle Gabler, Mitglied der DIN-Geschäftsführung für den Bereich External Relations
© DIN

Mit der Föderalen Modernisierungsagenda wollen Bund und Länder Tempo machen: weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung, schlankere Verfahren. Eine zentrale Rolle spielen dabei technische Normen. Sibylle Gabler, Mitglied der Geschäftsleitung von DIN,erläutert im Interview, warum Normung ein entscheidender Baustein für moderne, effiziente und sichere Strukturen ist – und weshalb gerade jetzt sorgfältig geprüft werden muss, wo Normen einen unverzichtbaren Mehrwert bieten. 

Frau Gabler, die Bundesregierung und die Länder haben mit der Föderalen Modernisierungsagenda ein umfassendes Paket angekündigt. Wie beurteilen Sie die Agenda? 

Die Agenda zeigt klar: Deutschland will schneller, digitaler und weniger bürokratisch werden. Das unterstützen wir ausdrücklich. Modernisierung gelingt aber nicht mit weniger Regeln, sondern mit besseren. Genau hier setzt Normung an: Sie übersetzt Vorgaben in anwendbare Lösungen, die von Fachleuten aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlicher Hand und Verbraucherschutz gemeinsam erarbeitet werden. Das Ergebnis sind technische Regeln, die in der Praxis funktionieren und eine breite Akzeptanz haben.      

Eine Maßnahme der Agenda ist die Prüfung, ob Verweise auf Normen in Gesetzen gestrichen werden sollen. Was bedeutet das für die Normung? 

Bund und Länder prüfen nun bis Mitte 2026 alle Normenverweise in Gesetzen. Verweise sollen nur bestehen bleiben, wenn sie erkennbaren Mehrwert bieten. Die fachlich zuständigen Ministerien entscheiden, was „unverzichtbar“ ist. Welche Gesetze wirklich betroffen sind, wird frühestens ab Sommer klar – die Anpassungen erfolgen dann schrittweise.  

Grundsätzlich entspricht es unserem Selbstverständnis, dass Normen nur dort referenziert werden, wo sie einen klaren Nutzen stiften. Gerade in sicherheitskritischen Bereichen – etwa Strahlenschutz, Brandschutz, Bauwerksicherheit, Cybersicherheit oder Elektrotechnik – geben Normen Unternehmen verlässliche Orientierung. Sie ersetzen aufwendige Einzelfallprüfungen und schaffen Effizienz für Wirtschaft und Staat. 

Das steht in der Föderalen Modernisierungsagenda (Maßnahme 79): 

„Technische Normen (z.B. DIN-Normen) finden über Verweise oder durch Auslegung von Rechtsnormen indirekt oder direkt Eingang in das deutsche Recht und werden damit verbindlich. Da die technischen Möglichkeiten und damit auch die technischen Normen sich ständig weiterentwickeln, werden dadurch auch materielle Rechtspflichten immer weiter erhöht und somit Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen immer stärker belastet. 

Mit dem Ziel einer Beschränkung von Standards auf das Notwendige, überprüfen Bund und Länder bis zum 30.06.2026 sämtliche Verweise auf externe technische Normen in Bundes- und Landesgesetzen (insbesondere im Baubereich). Nur in Fällen, in denen ein entsprechender Verweis unverzichtbar ist, darf der Verweis beibehalten werden.“ 

Die Föderale Modernisierungsagenda findet sich hier.

Können Sie erläutern, wie ein Normenverweis konkret wirkt? Viele diskutieren über das Thema, aber nur wenige kennen ein technisch greifbares Beispiel. 

Ein praktisches Beispiel für die Wirkung eines Normenverweises sind Rettungswagen. Mehrere Landesrettungsdienstpläne – etwa in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen – verweisen direkt auf die DIN EN 1789. Diese Norm legt klar fest, wie ein Rettungswagen aufgebaut und ausgerüstet sein muss. 

Der Verweis macht die Anforderungen eindeutig und überprüfbar: Hersteller wissen, was sie liefern müssen, Behörden können einheitlich prüfen. Gleichzeitig entsteht Interoperabilität, denn ein nach DIN EN 1789 gebauter Rettungswagen kann problemlos auch in anderen Bundesländern, z.B. bei Katastrophenfällen, eingesetzt werden. Normenverweise machen Vorgaben also konkret, vergleichbar und unmittelbar nutzbar. 

Die Modernisierungsagenda fokussiert stark auf Bürokratieentlastung. Wie können Normen hierzu konkret beitragen? 

Praxisnahe Normen helfen dabei, bürokratischen Aufwand zu reduzieren. Wenn gesetzliche Anforderungen durch Verweise auf Normen präzisiert werden, wird ihre Umsetzung deutlich einfacher und kostengünstiger. Auch bei der Digitalisierung der Verwaltung können wir wertvolle Unterstützung leisten. Ein gutes Beispiel ist die DIN SPEC 66336, die Qualitätsanforderungen für digitale Verwaltungsservices festlegt. Sie verhindert Insellösungen, schafft Interoperabilität und ermöglicht nutzerfreundlichere Prozesse. Behörden sparen Zeit, Bürgerinnen und Bürger vermeiden doppelte Angaben. So reduzieren Normen den Umsetzungsaufwand und entlasten damit die Praxis spürbar. 

Praxisnahe Normen helfen dabei, bürokratischen Aufwand zu reduzieren.

Wie profitieren Verbraucherinnen und Verbraucher von Normen? 

Normen machen unser tägliches Leben ein Stück sicherer und verlässlicher. Wenn wir ein Spielzeug kaufen, ein Haushaltsgerät nutzen oder einem digitalen Dienst unsere Daten anvertrauen, dann können wir uns darauf verlassen, dass klare Regeln dahinterstehen. 

Normen sorgen zum Beispiel dafür, dass konkrete Anforderungen an die Qualität und Sicherheit von Spielzeug definiert werden. Sie schützen unsere Daten im Netz, indem sie hohe IT-Sicherheitsstandards setzen. Und sie machen Informationen vergleichbar, etwa bei Energieeffizienz oder Lebensmittelsicherheit. 

Gerade in einer Welt, die technisch immer komplexer wird, brauchen wir diesen verlässlichen Rahmen. Normen geben uns die Sicherheit zu wissen: Was ich nutze, ist geprüft, durchdacht und auf dem Stand der Technik, genau das schafft Vertrauen im Alltag. 

Viele Expertinnen und Experten bei DIN engagieren sich ehrenamtlich in der Normungsarbeit. Welche Rolle kommt ihnen jetzt zu? 

Eine sehr zentrale. Die Modernisierungsagenda zeigt: Wir müssen das komplexe, aber äußerst wirksame System der Normung noch besser erklären – und zwar gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit. 

Dabei spielen unsere Expertinnen und Experten eine entscheidende Rolle. Sie erleben täglich, wie Normen Innovation ermöglichen, wie sie Verfahren harmonisieren und wie sie Effizienz in Organisationen schaffen. Dieses Praxiswissen ist enorm wertvoll, gerade jetzt, wo in vielen Ministerien diskutiert wird, welche Normenverweise „unverzichtbar“ sind. 

Wir werden in den kommenden Monaten verstärkt Informationen bereitstellen, Beispiele sammeln und Hintergründe erläutern. Aber die beste Erklärung kommt immer aus der Fachpraxis – also von den in unseren Gremien aktiven Unternehmen, Forschungsinstituten und Behörden, die Normung Tag für Tag weiterentwickeln. 

Was ist Ihr Fazit? 

Die Modernisierungsagenda ist eine große Chance, um Deutschland schneller, digitaler und weniger bürokratisch zu machen. Dafür braucht es Normen als technische Infrastruktur der Modernisierung, etwa für sichere Technologien, digitale Verwaltungsverfahren oder effiziente Prozesse. 

Gleichzeitig gilt: Auch die Normung selbst entwickelt sich weiter. Wir arbeiten daran, Verfahren schneller, digitaler und partizipativer zu gestalten. Modernisierung gelingt nur gemeinsam, mit Staat, Wirtschaft und Normung im Schulterschluss.  

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Julian Pinnig

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