Presse
Leitfaden für standardessentielle Patente
Weg für das Internet der Dinge geebnet
Mehr als fünfzig Organisationen aus unterschiedlichsten Industriezweigen und aus allen Bereichen entlang der Innovationskette haben mit dem CEN Workshop Agreement CWA 95000 „Core Principles and Approaches for Licensing of Standard Essential Patents“ einen Leitfaden zur Lizensierung standardessentieller Patente erarbeitet. Damit wurde der Verbreitung des Internet of Things (IoT) in Europa der Weg weiter geebnet.
Mit der Einführung des 5G-Netzes wird die Anzahl von Geräten und Anwendungen in den kommenden Jahren stark zunehmen. Um sie miteinander zu vernetzen, braucht es Interoperabilitätsstandards. Damit ein Standard qualitativ hochwertigste Technologie umfasst, muss diese mit in den Standard aufgenommen werden. Liegt auf der Technologie jedoch ein Patent, kann der Standard nicht mehr ohne Nutzung des Patents angewendet werden. Man spricht dann von standardessentiellen Patenten (SEPs). Der Umgang mit SEPs kann zu jahrelangen Rechtsstreitigkeiten führen und Vorteile der Standardisierung, wie die Innovationsförderung, gefährden.
Sechs Grundsätze zur Beurteilung von SEPs
Das CWA 95000 enthält sechs Grundsätze, an denen sich Patentinhaber und Lizenznehmer bei Verhandlungen orientieren können. SEP-Lizenzbedingungen sollen fair, angemessen und nicht diskriminierend (Fair, Reasonable and Non-Discriminatory, kurz FRAND) sein. Wenngleich die interessierten Kreise, einschließlich der Unterzeichner des CWA, von Fall zu Fall entscheiden können, ob sie SEP-Lizensierungsverhandlungen führen möchten, liefert das CWA sechs Grundsätze, die ein FRAND-Ergebnis unterstützen:
1. Einstweilige Verfügungen: Ein FRAND SEP-Inhaber darf eine einstweilige Verfügung (oder ähnliches Ausschlussverfahren) nicht androhen, erwirken oder erzwingen, es sei denn es liegen außergewöhnlichen Umstände vor oder der FRAND-Ausgleich kann nicht per Gerichtsbeschluss herbeigeführt werden, z. B. aufgrund fehlender Zuständigkeit oder Insolvenz. Die Vertragsparteien sollten sich darum bemühen, die FRAND-Bedingungen ohne unfaire Verzögerungstaktiken wie einstweilige Anordnungen oder andere Ausschlussverfahren auszuhandeln.
2. Verfügbarkeit von Lizenzen: Eine FRAND-Lizenz sollte jedem zugänglich gemacht werden, der sie für die Umsetzung der entsprechenden Norm benötigt. Die Lizenzverweigerung bei einigen Implementoren steht nicht im Einklang mit dem FRAND-Versprechen. In vielen Fällen kann „vorgelagerte Lizensierung“ erhebliche Effizienzen schaffen, von denen Patentinhaber, Lizenznehmer und Industrie profitieren.
3. Grundsätze der FRAND-Rechtsprechung: Standardessentielle Patente (SEPs) sollten nach ihrem technischen Nutzen und Anwendungsbereich bewertet werden, nicht nach der nachgelagerten Wertschöpfung oder Nutzung. Dies impliziert in vielen Fällen ein Fokussieren auf die kleinste Komponente, die das Patent direkt oder indirekt verletzt, und nicht auf das fertige Produkt, welches zusätzliche Technologien enthält. Wie die Europäische Kommission festgestellt hat, sollten SEP-Bewertungen „keinerlei Angaben hinsichtlich der Entscheidung über die Aufnahme der Technologie in den Standard“ enthalten. Außerdem „haben die Vertragsparteien bei der Bestimmung eines FRAND-Wertes einen angemessenen Gesamtpreis für den Standard zu berücksichtigen.“
4. Bündelung von Patenten: Während Vertragsparteien in einigen Fällen einvernehmlich und freiwillig einer Portfolio-Lizensierung zustimmen können (auch wenn einige der enthaltenen Patente umstritten sind), sollte keine der Parteien eine FRAND-Lizenz für Patente verweigern, die bei Uneinigkeiten im Hinblick auf andere Patente eines Portfolios als unerlässlich angesehen werden. Dieser Ansatz erlaubt es den Vertragsparteien, Übereinstimmungen innerhalb eines Patentportfolios trotz ebenso vorhandener Uneinheitlichkeiten zu identifizieren. Für Patente, für die es keine Vereinbarung gibt, sollte keine Vertragspartei gedrängt werden, eine Portfolio-Lizenz zu erwerben, und im Streitfall hat ein SEP-Inhaber den Beweis für den Nutzen dieser Patente zu erbringen (z. B. Identifizierung von Patentverletzungen und Bestimmung der FRAND-Lizenzgebühr).
5. Geheimhaltungsvereinbarungen und Fairness: Keine an einer FRAND-Verhandlung beteiligte Vertragspartei sollte die jeweils andere Vertragspartei zu weitreichenden Geheimhaltungsvereinbarungen drängen. Einige Informationen, wie Patentlisten, Anspruchslisten zu den betreffenden Produkten, FRAND-Lizenzbedingungen, Details zur Historie der Lizenzvergabe usw. sind für die Bewertung potenzieller FRAND-Bedingungen wichtig, und die Verfügbarkeit dieser Materialien kann das öffentliche Interesse an einer einheitlichen und fairen Anwendung von FRAND stärken. Ein Patent-Inhaber sollte seinen Informationsvorteil bezüglich der Patente oder früheren Lizenzen nicht dafür nutzen, den Verhandlungsspielraum von Lizenznehmern einzuschränken.
6. Patentübertragungen: FRAND-Verpflichtungen bleiben von Patentübertragungen unberührt. Hierauf sollte in Patent-Verkaufstransaktionen ausdrücklich hingewiesen werden. Ebenso sollten Patentübertragungen nicht die angestrebte oder erzielte Wertschöpfung für bestimmte Patente verändern. Werden SEP-Portfolios aufgelöst, sollten die auf die einzelnen Teile (und den verbleibenden Teil des Portfolios) entfallenden Lizenzgebühren nicht höher sein, als die Lizenzgebühren, die nach FRAND erhoben worden wären, wenn das Portfolio noch in der Hand eines einzelnen Inhabers wäre. Auch sollten diese Gebühren den vom ursprünglichen Inhaber verlangten Betrag nicht überschreiten. Und schließlich sollten Patentübertragungen nicht dafür benutzt werden, die Aufrechnung von Lizenzgebühren durch den Lizenznehmer oder ähnliche gegenseitige Rechte abzulehnen.
Zivilrechtliche und kartellrechtliche Auseinandersetzungen vermeiden
ACT | The App Association und Fair Standards Alliance, die die Erarbeitung des CWA gemeinsam mit DIN maßgeblich gelenkt haben, hoffen, dass mit diesem Leitfaden zivilrechtliche und kartellrechtliche Probleme, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten im Smartphone-Sektor aufgetreten sind, vermieden werden können. Europas größter Automobilherstellerverband ACEA und IP2Innovate, die sich für ein ausgewogenes Patentsystem in Europa einsetzen, wollen die verankerten Grundsätze ebenfalls unterstützen.
Die an der Erarbeitung des CWA 95000 „Core Principles and Approaches for Licensing of Standard Essential Patents“ Beteiligten und Förderer stammen aus 56 Unternehmen und Organisationen aus unterschiedlichen Industriezweigen wie Automobilindustrie, Rundfunk und Fernsehen, Telekommunikation, Technologie und andere erarbeitet. DIN leitete das Sekretariat. Das CWA 95000 ist hier kostenlos verfügbar.